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Können Online-Arenen auch zu Konsens statt Konfrontation animieren?

Wie können möglichst viele Stimmen gehört werden?

Bestätigen sich Vermutungen über eine Meinungslandschaft?

Ergänzend zu der eher digitalkritischen Fragestellung hier (https://feddit.org/post/49746), liegt der Schwerpunkt diesmal eher auf dem Potenzial eines Instruments für Aushandlungsprozesse. Die Plattform Pol.is kann für Diskussionen unterschiedlicher Art genutzt werden, besonders spannend ist dabei der Kontext in Taiwan, wo in den letzten Jahren Druck von innen (Protestbewegung 2014) und außen (China) auch in digitaler Form daherkam - und wo Zivilgesellschaft und Regierung vermehrt digital unterstützte, partizipative Politik erproben.

Die Plattform

Pol.is wurde vom Computational Democracy Project entwickelt und folgt dem open source- Prinzip, Menschen mit Programmierkenntnissen können ‘unter die Haube schauen’ und auch eigene Versionen basteln. Als Laie kann man über die Seite https://pol.is/home im Handumdrehen eigene Diskussionen eröffnen und dann per Link andere zur Beteiligung einladen. Für den Account empfiehlt sich als Name ein Pseudonym, da er Teilnehmenden später sichtbar wird. Auch für Teilnehmende ist ein Account praktisch, um auch ohne Cookies zu Diskussionen zurückzukehren.

DatenschutzNutzt man Pol.is so, laufen die Daten über amerikanische Server. In den Bedingungen wird auch auf die europäische Datenschutz-Grundverordnung (englisch GDPR) eingangen, siehe die Abschnitte ‘International Visitors’ und ‘Supplemental Notice to EU Data’ unter https://pol.is/privacy . Ich selbst kann das nicht beurteilen, aber wer volle Kontrolle will, kann die Software auf Server der Wahl packen.


Für die Benutzung wird auf Einfachheit gesetzt. Als Initator formuliere ich ein Thema und eine handvoll Aussagen dazu. Teilnehmende können auf eine Aussage per Klick mit Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung reagieren - und bekommen dann erst die nächste Aussage gezeigt. Die Möglichkeiten sind im Vergleich zu Sozialen Medien bewusst um das Mittel des Kommentars gekürzt. Dahinter steht neben der Präferenz für Übersichtlichkeit die Annahme, dass solche Diskussionen zu oft nicht fruchtbar sind, in ‘Kommentarkriege’ Weniger, Trollaktionen u. ä. münden.

Zugleich ist man aber zum Beisteuern eigener Aussagen eingeladen, die dann einen eigenen Platz bekommen. Pol.is entspricht damit der Definition einer wikisurvey, d. h. einer Umfrage, deren Inhalte die Befragten selbst mitgestalten. Letzlich entsteht eine Mischform aus Umfrage und Debatte.

Ein konstruktiver Kommentar im herkömmlichen Sinn kann ja z. B. so aussehen, dass man einer Äußerung beipflichtet, aber eine punktuelle Abänderung vorgeschlägt. In Pol.is würde man so eine Synthese dann als neue Aussage einstellen - und möglicherweise ist es genau die Änderung, die auch bei anderen die Akzeptanz erhöht. Jedenfalls sehen nach den bisherigen Erfahrungen positive Diskussionsverläufe öfter so aus, dass nach und nach konsensfähigere Aussagen entwickelt werden.

In der Selbstbeschreibung ist auch von der Nutzung von “advanced statistics and machine learning” die Rede. Dabei versucht die ‘Maschine’ nicht die Aussagen inhaltlich zu analysieren:

“Does Polis use natural language processing (NLP)?” “No. The machine learning 👾 Algorithms run are solely run on the polis opinion matrix of agrees, disagrees and passes by participants on comments. Thus, Polis is language agnostic.” (aus den FAQ)

Pol.is beschränkt sich darauf, die Abstimmungsergebnisse miteinander in Beziehung zu setzen und daran auch die Reihenfolge individuell anzupassen, in der die Thesen angezeigt werden. In der (teilweise) deutschen Benutzeroberfläche fällt das Wort “zufällig”, aber “semi-randomly” (FAQ) ist soweit ich sehe treffender und entspricht der Logik des Ansatzes.

Sinn des Ganzen ist nicht einfach ein Ranking der Aussagen nach Beliebtheit herzustellen. Pol.is versucht 2-5 Gruppen zu fassen, die sich durch ähnliche Abstimmung herauskristallisieren. Wenn viele Teilnehmenden einer These zustimmen, viele andere sie aber ablehnen, schaut Pol.is, ob das übrige Abstimmungverhalten für relativ homogene Gruppen spricht. Eine Gruppe definiert sich dann durch hohe Zustimmungs- oder Ablehnungswerte für eine handvoll Thesen, wobei eben interessant ist, wie hoch genau die Übereinstimmung jeweils noch ist. Da nicht immer alle alle Thesen durchgehen, priorisiert der Algorithmus also die Aussagen, die für die Verortung relevanter sind.

Die Ergebnisse werden danach in einem detaillierten Bericht präsentiert, optional kann man den Teilnehmenden auch parallel zur Diskussion Zwischenstände anzeigen - was dann natürlich auch wieder das Abstimmungsverhalten beeinflussen könnte. Beispiele für solche Berichte sind unten verlinkt. Außer dem Fokus auf die Gruppen gibt es u. a. noch ein Spektrum, das die Verteilung der Thesen von konsensuell zu kontrovers anschaulich macht, und eine Übersicht über “Uncertainty”, die Aussagen, die mehr als 30% der Beteiligten geschoben haben.

Es liegt auf der Hand, dass sehr viel davon abhängt, wie man Diskussionen dann selbst aufsetzt und durchführt: Weit oder eng gefasstes Thema, kurzer oder langer Zeitraum usw.

Eine Variable ist auch, wieviel ‘Profil’ die Teilnehmenden haben. Es ist möglich, den Zugang mit dem Einloggen in Facebook bzw. Twitter/X zu verknüpfen - dann taucht das Profilbild in der Visualisierung auf. Oder Moderierende können eigene und fremde Aussagen als Metadaten markieren: Wer möchte, kann dann z. B. in einer Diskussion zur Agrarpolitik über Aussagen wie “Ich bin selbst Landwirt*in” ‘abstimmen’, um das Meinungsbild zu den eigentlichen Thesen dann noch differenzierter zu bekommen.

Weitere Art der Verlinkung, die ich nicht erklären kann“Can Polis break down opinions based on demographic or location information? Yes, if you’re collecting this data yourself. You can link a participation record to a random long number which links back to your user records, and merge the tables after the conversation ends. Thus, the data export from Polis can be connected to your data.” (FAQ)


Eine Stärke von Pol.is ist die Skalierbarkeit. Während Zahlen von unter 50-100 Teilnehmenden sogar als nicht ideal erachtet werden, ist nach oben sehr viel möglich. Mitbegründer Megill bringt im Video unten den Vergleich, dass 100 Teilnehmende nicht über eine Million Aussagen abstimmen könnten, aber eine Million Teilnehmende durchaus über 100 Aussagen, und in dem Fall der digitale Weg auf unkomplizierte Weise eine Willensbildung ermögliche, die analog kaum denkbar sei.

Jetzt könnte man sich fragen, wie realistisch es ist, dass vielen Menschen nur relativ wenige Aussagen gegenüberstehen. Mit Blick auf Social Media und Pol.is selbst verweist Megill darauf, dass in der Praxis aktiv Schreibende meist nur eine kleine Minderheit gegenüber den anders Nutzenden (lesen, ‘voten’) ausmachen, teilweise nur ein Zehntel. Gerade bei engerer Themenwahl sind auch nicht Unmengen von Ideen zu erwarten und zudem schalten optional Moderator*innen Aussagen erst frei, um z. B. hate speech, aber auch Wiederholungen zu vermeiden. Soweit ich sehe gibt es dafür keine transparente Dokumentation, das müsste man also anderweitig bewerkstelligen.

Taiwan

In Taiwan steht Digitalministerin Audrey Tang, die zuvor zu den ‘civic hackers’ der Sonnenblumenbewegung 2014 gehörte, für einen umfassend gedachten Einbezug digitaler Möglichkeiten unter dem Stichwort vTaiwan (für virtualTaiwan). Das so unterstützte Handling der Pandemie gilt z. B. als erfolgreich, Transparenz (der Regierung, nicht der Bürger, wie Tang hervorhebt) und Partizipation statt Steuerung (die sich oft hinter ‘smart…’-Konzepten verbirgt) sind leitende Ideen dabei. Im Sinne der Problematik ‘Digitalzwang’ (s. Link oben) würde mich interessieren, wie gut dabei die Inklusion von Menschen klappt, die sich ansonsten eher offline bewegen. Internetzugang selbst wird allerdings als Grundrecht angesehen und entsprechend vorangetrieben. Zur sich etablierenden ‘Digitalkultur’ gehört auch, dass bei Projekten und Prozessen mit Fehlern und situativem Anpassungsbedarf gerechnet wird. Siehe Überblick unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/default-7b774a0527-2

Ein Beispiel für den Einsatz von Pol.is ist die Diskussion anlässlich eines Konflikts zwischen Uber und der Taxibranche. Auch Behörden und Nutzende wurden in einen mehrschrittigen Prozess eingebunden, der in die Gesetzgebung mündete. Siehe https://www.tomatleeblog.com/archives/175327886 (Abschnitt Example 2)

Klima-Rat

Ein österreichischer Klima-Rat mit ausgelosten Teilnehmer*innen traf sich 2022 an mehreren Wochenenden, ähnlich dem deutschen Klima-Rat vor der letzten Bundestagswahl. In der österreichischen Variante suchte der Rat auch Input und Feedback vom Rest des Landes, nachdem er selbst schon erhaltene Sachinformationen in Gruppen andiskutiert hatte. Die Eingangsthesen waren also schon das (Zwischen-)Ergebnis einer partizipativen Methode.

„‘Die Online-Beteiligung hilft uns dabei, den richtigen Fokus zu setzen, Themen zu ergänzen, die bisher vielleicht untergangen sind und letztlich die besten Empfehlungen an die Politik zu formulieren,’ ergänzt Paul aus Söding-Sankt-Johann in der Steiermark, Mitglied im Klimarats-Team Ernährung." https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220427_OTS0096/ab-sofort-der-klimarat-fragt-ganz-oesterreich

Im Nachgang haben Mitorganisatoren vermeidbare Fehler im Ablauf, in der Einbindung in den Prozess festgehalten - von den mittlerweile reichlich gemachten Erfahrungen weltweit können neue Initiativen lernen. Inhaltlich zeigte sich in der Diskussion zum Thema ‘Energie’ eine Aufteilung in zwei Gruppen von 1228 und 211 Teilnehmenden, wobei die kleinere durch überwiegend ablehnende Haltung zu weitergehenden Klimaschutzmaßnahmen charakterisiert war.

Grundzüge dieser Position (wie die Relativierung des Problems) sind nicht überraschend; auffällig ist, dass auf eine abstraktere Aussage (Nr. 51 “Klimarat: Österreich muss im Klimaschutz global eine Vorbildrolle übernehmen.”) die Ablehnung noch viel eindeutiger ist (3% pro, 82% contra) als bei konkreteren Statements, die die Gruppe mehrheitlich ablehnt. (Nr. 29 “Klimarat: Ich bin bereit, Windräder auch in meinem näheren Umfeld zu akzeptieren.” 25% pro, 61% contra).

An dieser Stelle nur noch ein Beispiel, das dafür stehen soll, dass der Reiz in der Zusammenschau verschiedener Abstimmungen besteht. Nr. 36 “Klimarat: Produkte und Dienstleistungen, die das Klima belasten, sollen einen deutlich höheren Preis haben als klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen” erhält bei der kleinen Gruppe 18% pro, 60% contra. Noch höhere Ablehnung erntet Nr. 50 “Klimarat: Klimaschutz ist so dringend und muss umgesetzt werden, auch wenn zeitnah keine sozialen Ausgleichsmaßnahmen möglich sind.” (4% pro, 76% contra, dagegen 47 % pro, 33% contra bei der großen Gruppe), was die Vermutung bestätigen könnte, die mangelnde Sozialverträglichkeit der Maßnahme ist ausschlaggebend.
Doch auch Nr. 188 “CO2 muss stärker bepreist werden, aber dafür müssen ärmere Haushalte auch mehr Zuschuss bekommen” bekommt 7% pro, 65% contra (bei geringerer Beteiligung). Verteuerung als solche scheint ein rotes Tuch zu sein, während die Zustimmung für Förderung und Information einen Konsensbereich mit der großen Gruppe bildet (z. B. Nr. 11, Nr.32).

Links zum Beispiel: https://pol.is/report/r8nssrnnnf2bewvtd5f5h (So sieht ein Bericht aus) https://compdemocracy.org/Case-studies/2022-Austria-Klimarat/

Weiteres Beispiel: Die mittlerweile wieder abgeebbte Bewegung ‘Aufstehen’ um Sahra Wagenknecht experimentierte ebenfalls mit Pol.is. Interessant u. a. bezüglich sehr hoher Teilnehmerzahl, Metadaten und technischen Details. https://www.youtube.com/watch?v=1yh2yKHUKU8 https://pol.is/report/r6xd526vyjyjrj9navxrj

Vorläufiges Fazit

Pol.is ist keine Wundertechnik. Auch weil ich von ‘richtiger’ KI in diesem sensiblen Zusammenhang nichts Gutes erwarte, ist das einfache Prinzip aus meiner Sicht aber kein Nachteil. Es bedeutet nur, dass wir Menschen aktiv überlegen und ausprobieren müssen, wann und wie dieses Instrument eine Unterstützung sein kann. Oder was man daran ändern könnte - im Video unten geht es z. B. auch um mehr Antwortmöglichkeiten. Dreh- und Angelpunkt ist für mich die kollaborative Feinarbeit an Formulierungen, die das Rätselraten minimieren, wie Abstimmungsergebnisse zu deuten sind. Ein eher enger gefasstes Thema kann für diese Klärung förderlich sein.

Es klingt vielleicht etwas hochtrabend immer wieder von Demokratie zu sprechen, aber gerade aktuell ist ja greifbar, dass Zeichen gesetzt, aber eben auch vernünftige Praktiken demonstriert werden müssen. Ich sehe keinen Grund, warum man nicht auf lokaler Ebene so eine Mischform aus Umfrage und Debatte einführen und kultivieren sollte.

Eventuell ergeben sich dann überraschende Gemeinsamkeiten (oder Differenzen), präzisere Formulierungen oder Aufschlüsse darüber, ob z. B. bestimmte Fakten doch noch zu unbekannt sind. Was bei der automatischen Präsentation ganz gut gelingt ist Minderheitsmeinungen nicht untergehen zu lassen, ohne die proportionale Einordnung aus dem Blick zu verlieren. Die Frage, wie repräsentativ die Ergebnisse sind, hängt natürlich wieder vom Organisieren der Teilnahme ab.

Wie ist eure Meinung dazu? Könnt ihr euch vorstellen solche Diskussionen auch hier auszuprobieren und wenn ja, zu welchen Themen?


[zuerst gepostet im alten Forum am 3.3.24]
[Edit 29.9.: Ausklappfeld 'Weitere Art der Verlinkung, die ich nicht erklären kann' hatte nicht funktioniert]

#politik #gesellschaft #digitalisierung

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Ich schlage gerade mit einem Beitrag (https://feddit.org/post/3274783) in der DACH-Community vor, dass wir mal mit zusammen mit Pol.is herum experimentieren, das ich hier vorgestellt habe. Damit wir nicht zwei parallele Kommentarabteilungen haben, verlinke ich hier im Forum auf den anderen Beitrag.

Es wäre schön, wenn Ihr mal reinschauen würdet!


Edit: Ab jetzt auch mit Link, sorry! Dort erscheint der Text auch richtig formatiert.

Edit 2: Ich habe den Link jetzt nur noch hier im Textkörper stehen, als URL unter dem Titel wird da ein allzu hässlicher, unformatierter Textklotz produziert. Scheint so zu passieren, wenn der verlinkte Beitrag selbst kein Link-Beitrag ist, sondern einer, der nur ein Bild in der Vorschau hat....Hm, ich kann in der Bearbeitung auch nicht mehr 'keine URL' angeben, also dann eben wenigstens ein Link auf den kürzeren Beitrag selbst.


#demokratie #gesellschaft #digitalisierung

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Die Politik reagiert auf die 'Wohnungsfrage' reflexartig mit Zielmarken für den Neubau von Wohnungen. Im Idealfall würden dann gleichzeitig Bedarfe gedeckt und die Bauwirtschaft würde auch davon profitieren. Die Tatsache, dass die Ziele regelmäßig gerissen werden, überdeckt, dass eine viel grundsätzlichere Auseinandersetzung mit der Problematik notwendig und hilfreich wäre.

Ich greife für den Anfang einen Impuls von Daniel Furhop auf, von dem ich im letzten Jahr einen Vortrag angehört habe und dessen Buch Der unsichtbare Wohnraum. Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit (2023) open access verfügbar ist.

Angesichts der Klimakrise fände er auch ein Erreichen der Neubauzahlen keinen Grund zum Feiern, zumal nicht alle gebauten Häuser aus allen Nähten platzen. So ist die Wohnfläche von 36,7 Quadratmetern pro Kopf im Jahr 1995 auf 47,4 Quadratmeter pro Kopf in 2020 gestiegen (S.18). Hinter dem rechnerischen Durchschnitt tut sich eine Schere auf. Gerade immer mehr Ältere - und 2035 wird es 4 Mio. mehr Menschen 65+ geben - leben allein oder zu zweit in Häusern, die für vielköpfige Familien ausgelegt waren, umgekehrt verhindern z. B. hohe Mieten den Umzug größer werdender Familien in größere Wohnungen oder sind aus anderen Gründen in einer Wohnung mehr Menschen als Zimmer vorhanden (sog. Crowding, S.21).

Wie in vielen anderen Bereichen ist hier also ein Mangel kombiniert mit einer stark ungleichen Verteilung. Furhop, der sich als 'Wohnwendeökonom' bezeichnet, konzentriert sich nun auf mögliche win-win-Situationen, will niemandem etwas wegnehmen oder streitig machen.

Als möglichen Richtwert für 'viel Wohnraum' verwenden Furhop und andere 80+ m² für Ein- bzw. 100+ m² für 2-Personen-Haushalte. Nach dem Zensus 2011 traf das damals bereits auf 4 bzw. 4, 8 Millionen Haushalte zu (s. S. 20). Die Überlegung ist nun, dass hier auch 'unsichtbarer Wohnraum' eingeschlossen ist. Bei diesem

"handelt es sich bereits um Wohnraum, es geht also weder um anders genutzte Flächen (wie Gewerbe) noch um bislang nicht genutzte Räume (etwa ausbaubare Dachgeschosse). Dieser Wohnraum wird jedoch nicht genutzt, womit kein Leerstand gemeint ist (im Sinne der Bezeichnung leerstehender Wohnungen, für die keine Einwohner amtlich gemeldet sind), sondern die Bewohner nutzen diese Räume nicht (wohl aber andere Räume). Dabei sagen die Bewohner selbst, dass sie diese Flächen nicht verwenden und nicht wünschen (oder nicht benötigen), sie sind also freiwillig offen für andere Möglichkeiten, den unsichtbaren Wohnraum nutzbar zu machen." (81, Hervorhebungen im Original)

Ein paar Möglichkeiten, wie dieser Raum besser genutzt werden könnte:

  • Wohnen: Den Haushalt um Personen erweitern

  • Umbau: Einliegerwohnung abtrennen

  • Umzug: z.B. in Form eines Tausches. Teilweise gibt es schon Umzugsprämien, Furhop plädiert aber für umfassenderen Service durch öffentliche Hand. Eine Variante mit Neubaukomponente ist der Bremer Punkt: Unmittelbar neben Reihenhäusern gebaut, können hier ältere Bewohner*innen von dort in barrierefreie Wohnungen ziehen ohne ihre vertraute Umgebung zu verlassen.

  • Wohnshare / 'Wohnen für Hilfe': Vermittlung von Partnerschaften zwischen Generationen durch Vermittlungsstelle. Vertraglich geregelte stundenweise Hilfe z. B. mit Einkäufen oder im Garten für stark reduzierte Miete. In Deutschland dümpelt dieser Bereich herum, die Stadt Brüssel kommt damit auf 350 Vermittlungen pro Jahr (117). Stand heute behandeln Finanzämter so ein Verhältnis unterschiedlich (172). Im Idealfall haben die Generationen auch sozial etwas von dieser Partnerschaft.

  • Soziale Wohnraumvermittlung: Kommunale Stelle baut Hemmnisse zur Untervermietung ab durch Mietgarantie/Mietbegleitung/Zuschuss zu Renovierung.

Hauptpunkt ist ein beherztes Engagement der öffentlichen Hand, um zwischen sich ergänzenden Bedürnissen zu vermitteln. Das lohnt sich natürlich auch bei leerstehenden Wohnungen. Beim Programm "Wohnraumakquise durch Kooperation" der Stadt Karlsruhe erhält diese im Gegenzug etwa zu Renovierungszuschüssen Belegrecht für 10 Jahre. Sie spart Hotelkosten für die Unterbringung von Menschen, die ihre Wohnung verloren haben. Im Zeitraum 2018/19 wurden so fast 120 Wohnungen wieder belegt (S. 208).

Das Wort Wohnsuffizienz im Titel von Furhops Dissertation weist bereits daraufhin, das man bei den gegebenen Bedingungen nicht immer nur nach Neubau rufen kann und in "einer doppelten Kreislaufwirtschaft des Bauens und des Wohnen" (27) wie in anderen Bereichen auch sinnvoll mit dem Bestand arbeiten muss.

Natürlich können sich mit solchen Modellen nicht alle anfreunden, aber bei der Masse an gebautem Raum machte schon ein Bruchteil viel aus. Längerfristig könnten ja durchaus mehr Wohnbiographien so aussehen, dass eigene Bedürfnisse und Räume öfter aufeinander und mit denen anderer Menschen abgestimmt werden können.


"Raumteiler erklärt - auf schwäbisch" - Beispiel für den Versuch einer kommunalen Vermittlerrolle. In 2018/19 wurden 1.200 Menschen vermittelt (S. 208).

#Wohnen #Kreislaufwirtschaft

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Manche kennen vielleicht noch Plattform-Spiele oder Jump'n'runs wie Donkey Kong, in denen Hindernisse übersprungen und Dinge eingesammelt werden müssen. Mit Play your Place haben ab 2013 Mary Flanagan, Ruth Catlow und andere dieses einfache Spielprinzip aus dem rein Digitalen geholt und auf Veranstaltungen in England zum experimentellen Nachdenken über das eigene Umfeld angeregt.

Die Beteiligten sollten z. B. überlegen, welchen Wandel sie sich für Southend wünschen. Für die Umsetzung galt es dann auf einem Papier vier Elemente mit Worten oder Skizzen zu gestalten:

  • Avatar (Spielfigur)
  • Setting
  • Obstacles (Hindernisse)
  • Rewards/Assets (Belohnungen/Pluspunkte)

Hier eine Erklärung und ein Beispiel zum Thema gesündere Ernährung.

Bei den überlieferten Levels steht öfter das zu vermeidende Negative im Vordergrund, wie Datenkraken in Decentralize the things und Data Body Building, oder man wird unter dem sarkastischen Motto Die Community spirit! Die! selbst zur treibenden Kraft des Zerstörerischen. Mit The End gibt es dann noch einen radikalen Metakommentar zu Handlungsmöglichkeiten.

Eine positivere Variante verknüpft das Radfahren damit Eindrücke von der städtischen Tierwelt einzusammeln.

Ziel der Aktionen war es auch einfach Menschen ins Gespräch zu bringen und Stadt als veränderbar zu zeigen. Da der letztendliche Spielspaß hier ohnehin nicht im Mittelpunkt steht, könnte man sich heute von der Idee auch zu Trockenübungen inspirieren lassen:

Welchen Teil meines Umfelds würde ich als Setting auswählen? Was für Hindernisse und Belohnungen? Eine menschliche Spielfigur oder vielleicht eine Sache?

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Dr. Markus Strauß sieht in der Integration essbarer Wildpflanzen in unsere Alltagskultur “riesige Chancen in den Bereichen Landwirtschaft, Esskultur, Gesundheitsvorsorge, Naturerlebnis und Lebenslust” Mit Hilfe einer Stiftung sind erste Parks entstanden, ich finde diese Idee in jeder Hinsicht toll und wünsche mir, dass das Netz, wie geplant, immer dichter wird!

Ewilpa.net

https://youtu.be/sZSipbbQZw4?si=s6N9YYKM412g9QBC (längeres Interview mit Schwerpunkt Ernährung)

#Landwirtschaft #Ernährung #Biodiversität #Gesundheit #Natur

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Raum für Ideen, Termine, Fundstücke etc.

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Nach dem Überblick zur Kreislaufwirtschaft (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 ) noch Beispiele aus dem Spektrum.

Durch Teilen (z.B. über Bibliotheken der Dinge) können Produktionsbedarfe sinken, bei einer anderen Dimension von Kreislaufwirtschaft geht es um das vorausschauende Design von Produkten oder die Wiederverwendung von Elementen.

Hier ein paar Beispiele aus dem Bausektor, der aktuell noch "zu 36 Prozent der Treibhausemissionen, 50 Prozent der Rohstoffentnahmen und 35 Prozent des Müllaufkommens in Deutschland" beiträgt. Entlang des Lebenszyklus eines Gebäudes gibt es dabei viele Möglichkeiten zur Einsparung wie auch zur wirtschaftlichen Betätigung. (Zahlen - die je nach Quelle bzw. Berechnung variieren - und Geschäftsmodelle für zirkuläres Bauen und Sanieren s. hier )

Zu den Grundbausteinen gehören u. a. wiederverwendete Materialien, wiederverwendbare Materialien, lösbare Verbindungen zwischen ihnen und eine Dokumentation darüber, was verbaut ist (Stichwort Ressourcenpass).

Für das CRCLR House wurde ein altes Brauereigebäude in Berlin in diesem Geist saniert und aufgestockt: Zwei Videos zum Projekt und ein Einblick in die heutige Nutzung als Coworking-Space inklusive Werkstatt und Platz für Veranstaltungen.

Der Neubau der Stadtverwaltung Venlo in den Niederlanden folgte dem cradle2cradle-Ansatz (s. Teil 2). An diesem Ort mit hoher Symbolwirkung wurde nicht oberflächlich, sondern ganzheitlich mit Fassadenbegrünung, Sonnenkamin etc. gestaltet.

Für das eigene Zentrum hat die C2C NGO einen Teil eines Plattenbaus aus DDR-Zeiten saniert. (Überblick + ein Interview ).


Jenseits der Wegwerfkultur: Gespräch im Deutschlandfunk mit dem Bioökonomen Jan Grossarth u. a. zum Baustoff Stroh.

LAB Talk #19: Podcast der C2C NGO mit der Bauingenieurin Lamia Messari-Becker u. a. mit dem Aufruf ganzheitlicher zu denken und nicht z.B. bei Dämmung Kreisläufe zu vernachlässigen.

#kreislaufwirtschaft #gebäude

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Bibliotheken der Dinge (www.youtube.com)
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Nach dem Überblick zur Kreislaufwirtschaft (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 ) noch Beispiele aus dem Spektrum.

Nutzungsverhalten hat eine individuelle Seite, aber auch eine strukturelle. Wir sind umgeben von Konsumoptionen, die den Besitz von Objekten nahe legen, nicht das ressourcensparende Teilen. Mit 'Bibliotheken der Dinge' wird versucht Orte zu schaffen, die ein jahrtausendealtes Prinzip ausweiten und 'Nutzen statt Besitzen' niederschwellig gestalten. Anstelle von Büchern geht es dabei um Werkzeug, Maschinen, Freizeitausrüstung und vieles mehr.

Najine Ameli hat zu den Möglichkeiten und Herausforderungen dieser Initiativen geforscht - und dann in Bochum selbst den Sprung in die Praxis gewagt. Eine Erkenntnis aus ihrer Dissertation Die neue Share Economy: Bibliotheken der Dinge war, dass diese Angebote sich trotz ihrer besonderen Vorteile auch mit Standards in Flexibilität etc. auseinandersetzen müssen, die der kommerzielle Markt gesetzt hat.

Großes Potential stecke dafür auch darin, außer der Ausleihe auch den Umgang mit Werkzeugen oder Instrumenten in unterschiedlichen Formaten anzustoßen (Repair-Cafés, Workshops etc.) Das fördert sowohl den Austausch als auch die individuelle Eigenständigkeit. So zitiert sie etwa Piper, die in einer tool library in Baltimore Menschen ermutigt einschüchternde Gerätschaften auszuprobieren:

"And it's almost as if they stand a little more straight afterwards. They smile a little bit bigger afterwards. They seem different leaving. [...] we have countless individual stories about that." 131


In einer Folge des Podcasts Wir im Wandel der Bundeszentrale für Politische Bildung wird Amelis Bib der Dinge besucht, daneben geht es um andere Beispiele für (Energie)Suffizienz - vor allem eine Initiative gegen Lebensmittelverschwendung.

Webseite der Bochumer Bib der DInge (die gerade umzieht):
https://bib-der-dinge-bochum.myturn.com/library/

Najine Ameli: Die neue Share Economy: Bibliotheken der Dinge : gemeinschaftliche Nutzungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung, Bielefeld 2020 (in Bibliotheken der Bücher)


#kreislaufwirtschaft #suffizienz #konsum #ernährung

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Zum Abschluss dieses Überblicks soll es noch einmal um die Frage gehen, wer bei einer Kreislaufwirtschaft treibende Kraft sein könnte und wie sehr der Schwerpunkt auf (Hoch-)Technologien liegt. Der Aufsatz Circular futures: What will they look like? von Thomas Bauwens, Marko Hekkert und Julian Kirchherr konstruiert anhand dieser zwei Achsen vier Szenarien.

Zentralisiert und low tech: Planned circularity

Schwerpunkt liegt auf (über)staatlichen Regelungen, entsprechend rückt die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz in den Vordergrund, aber auch effektive Möglichkeiten z . B. Rebound-Effekte zu verhindern (also dass Einsparungen zu Mehrverbrauch auf andere Weise verleiten). Low tech oder low tech innovations meint hier auch das vorrangige Ausreizen der höherwertigen R-Strategien.

Zentralisiert und high tech: Circular modernism

Der Staat gibt hier Richtlinien und finanzielle Anreize, v. a. große Konzerne sollen dann mit innovativen Technologien für Effizienzsteigerungen sorgen. Von KonsumentInnen werden eher keine Verhaltensänderungen erwartet, sie nehmen die Innovationen auf dem Markt an oder nicht. High Tech Lösungen wie Sortiersysteme oder KI-gestützte Automation sollen die unteren Rs und das Reduzieren optimieren, sind aber in der Entwicklung anspruchsvoll.

Dezentral und low tech: Bottom-up sufficiency

Vorangetrieben wird die CE hier v. a. durch kleinere Produktionseinheiten der Nah-und Selbstversorgung, die auch Transportwege minimiert. Lokale Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt, nicht Produktion und Konsum im Weltmarktmaßstab. Landleben und urbane Agrikultur werden kultiviert, freiwillige Verhaltensänderungen im größeren Stil sorgen für signifikante Reduzierung von Verbräuchen.

Dezentral und high tech: Peer-to-peer circularity

Digitalisierung ist hier der Dreh- und Angelpunkt und krempelt Produktions- und Nutzungsmuster um. Statt Massenproduktion und Besitz erlauben Plattformen passgenau Herstellung und Zugriff (Sharing economy, Gig economy).

Die vier Varianten werden dann noch hinsichtlich ihrer ökologischen Effektivität, wirtschaftlichen Effizienz, sozio-politischen Machbarkeit und Kompatiblität mit demokratischen Werten in dieser Grafik verzeichnet. Die befragte Fokusgruppe sieht global den zirkulären Modernismus als wahrscheinlichste Variante, da dessen Technik- und Wachstumsorientierung sich in der CE-Konzeption von Regierungsstellen, Konzernen und Organisationen wie der Ellen MacArthur Foundation wiederspiegele.

Da ohnehin auch von Mischtypen auszugehen ist, wird z. B. auch eine konstruktive Kombination von zentralisierten und dezentralen Elementen als wünschenswert bezeichnet: So könnte die Politik klare Ziele und Leitplanken definieren, aber im Geiste der polyzentrischen Governance auch Betrieben und zivilgesellschaftlichen Initiativen Gestaltung auf lokaler Ebene ermöglichen. (S. 11)


https://www.youtube.com/watch?v=fax5RcM0uIc (Video, in dem einer der Autoren die Ergebnisse vorstellt und diskutiert. Ebenfalls auf Englisch.)

[zuerst im alten Forum, 31.3.24]


#wirtschaft #konsum #politik

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Hoffnung am Ende der Welt (blog.till-westermayer.de)
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Bei den Alternativen zum ‘Weiter so’ fallen zwei gegensätzliche Leitgedanken ins Auge, die jedoch auf ihre Art beide das Notwendige mit dem Angenehmen verbinden wollen.

Vor allem ökologisch ausgerichtete NGOs setzen Suffizienz auf die Agenda, damit angesichts begrenzter Ressourcen und Emissionsbudgets grundlegend darüber nachgedacht wird, was denn überhaupt nötig ist für ein gutes Leben aller.

Hinter dem Konzept ‘cradle to cradle’ dagegen steht die Auffassung, dass dabei nicht genügend Menschen mitziehen würden und dies auch gar nicht nötig sei, wenn alle Produkte und Prozesse grundsätzlich anders designt würden. Das Ziel ist die umfassende Imitation des natürlichen ‘Es gibt keinen Abfall’-Prinzips auch im künstlichen Bereich, wo alles letztlich zu ‘technischen Nährstoffen’ zur weiteren Verwendung und damit unproblematisch wird.

Da man dieses Ziel als äußerst ambitioniert bezeichnen darf, sehe ich die starke Abgrenzung von der Suffizienz auf dem Weg dahin kritisch, wie sie z. B. im Buch “Intelligente Verschwendung. The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft” (2013) der beiden Gründer Braungart und McDonough betrieben wird. Während gegen Einschränkung argumentiert wird, sind selbst im anvisierten Zielzustand verschwenderische Lebensstile nur möglich, wenn auch Energie für die Kreisläufe im Überfluss vorhanden ist. Bis dahin dürften das Anerkennen von Grenzen, verbrauchsseitige Verhaltensänderungen und die entsprechenden R-Strategien nicht so überflüssig sein wie dieses Plädoyer für Kreislaufwirtschaft es darstellt.

Es weist so eine argumentative Nähe auf zu einem Framing von ‘Verzicht’ als unnötigem und kontraproduktivem Stimmungskiller. Die praktische Seite des Konzepts - detaillierte Bestandsaufnahmen und kreislauforientiertes Umdesignen (welches der privatwirtschaftliche Arm zertifiziert s. https://c2ccertified.org/ Für die deutsche NGO s. https://c2c.ngo/ ) - und das Motivieren zu verträglicher Kreativität könnten dabei gut mit dem anderen Ansatz kombiniert werden.

In dieser anderen Perspektive wird aus den planetaren Grenzen die Notwendigkeit abgeleitet, u. a. Ressourcenverbräuche absolut zu reduzieren, ob die Produktionsweisen dies gerade begünstigen oder nicht. Analog zur Klimaneutralität soll deshalb das Endziel auf Etappenziele heruntergebrochen werden, die den Fortschritt überprüfbar machen. Der BUND z. B. fordert deshalb die Vorbereitung eines Ressourcenschutzgesetzes im Rahmen der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/klimawandel/handlungsbedarf-nationale-kreislaufstrategie-nkws-forderung-ressourcenwende-bund-2023.pdf).

Da die psychischen und sozialen Belastungsgrenzen aber auch nicht überschritten werden sollen, soll meist das ‘Weniger’ der Suffizienz-Idee zugleich auch ein ‘Genug’ sein, das kein äußerstes Minimum ist. Dabei ist das ‘Genug’ jenseits des blanken Überlebens eine höchst subjektive Sache. Suffizienzansätze versuchen daher häufig die Idee eines Korridors zu etablieren, der innerhalb der Grenzen noch Spielraum für individuelle Präferenzen lässt und demokratisch ausgehandelt werden kann. Wie Braungart und McDonough mit dem Bild der ‘verschwenderisch’ produzierten Kirschblüten, knüpft die Wortwahl auch hier öfter an natürliche Pracht an, wenn z. B. der Korridor das flourishing (Gedeihen) menschlicher Existenz ermögliche. [1]

Eine altbekannte Metapher für unterschiedliche Perspektiven auf dieselbe Sachlage ist das halb volle oder halb leere Glas. Braungart und McDonough formulieren an einer Stelle eine dritte, analytischere Beschreibung: “Das Glas ist voll von Wasser und Luft.” (s. o., S. 198). Die Aufforderung, viel genauer als bisher hinzusehen, mit was wir uns permanent umgeben (wollen), kann man beiden Ansätzen entnehmen.


[1] Bärnthaler/Gough: Provisioning for sufficiency: envisaging production corridors (2023), Fig. 1 https://www.umweltbundesamt.de/themen/abfall-ressourcen/ressourcenschonung-in-produktion-konsum/fragen-antworten-zu-cradle-to-cradle

[zuerst im alten Forum, 30.3.24]


#wirtschaft #konsum #suffizienz

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submitted 1 month ago* (last edited 1 month ago) by borisentiu@feddit.org to c/gutesmorgen@feddit.org

Nach dem Versuch eines Überblicks (https://feddit.org/post/2284938) ist auch der angekündigte Teil mit ergänzenden Aspekten etwas angewachsen, weshalb ich die drei Abschnitte einzeln poste.
Den anreißenden Charakter habe ich aber beibehalten und an dieser Stelle nicht nochmal vertiefend nachgearbeitet.

Aus leeren Versprechungen lernen, nicht von ihnen

Wenig überraschend hat man sich im Allgemeinen bei den ‘Rs’ mit dem Recycling auf etwas konzentriert, das unten in der Hierarchie steht und das an die gewohnten Abläufe mehr oder weniger drangehängt werden kann, ohne sonst viel zu ändern. Das Hauptproblem aber ist, dass das System nicht annähernd das leistet, was Herstellerangaben und Mülltrennung suggerieren.

Die Dokumentation “Plastik - Die Recyclinglüge” (2021) z. B. zeichnet nach, was die Branchenweisheit ‘Abfall sucht sich immer das günstigste Loch’ bedeutet. Statt aufwendiges echtes Recycling (5% des Plastikmülls, im Film ab 00:20:45) subventioniertes Downcycling und Verbrennen, dazu legale und illegale Formen des Exports (und parallel natürlich viel neues, ‘virgines’ Plastik auf Ölbasis). Recyling politisch als ‘stoffliche Verwertung’ definiert erreicht so 45%.

Dieses nachgelagerte System krankt also weitgehend im Verborgenen vor sich hin, während die Greenwashing-Offensive im Konsumbereich auch hinsichtlich Recycling auf vollen Touren läuft. Der Unternehmer Reinhard Schneider (Die Ablenkungsfalle. Die versteckten Tricks der Ökologie-Bremser. Wie wir unsere Umwelt nicht länger aufs Spiel setzen, München 2023) kritisiert verschiedenste Praktiken der Irreführung. Verpackungen ‘aus Recyclingmaterial’, das nicht ausdrücklich aus so genanntem Post-Consumer-Abfall stammt, können z. B. auch aus produktionsbedingten Resten gefertigt werden, deren Nutzung schon immer im betriebswirtschaftlichen Interesse lag und erfolgte (Industrierezyklat, s. S.70).

So spielt das Konzept Recycling leider seine Rolle im Scheinklimaschutz, könnte aber auch in einem ganzheitlichen System seinen Part erfüllen. Schneider plädiert zum einen für staatliche Regulierung (z.B. klare Vorgaben und mit Steuerprüfungen vergleichbare Nachhaltigkeitsprüfungen, S. 231), zum anderen für Unternehmenskulturen, die Stück für Stück wieder Vertrauen aufbauen, indem nicht mehr versprochen als getan wird - und stetig mehr getan wird (u. a. Kap. 11).

Das Patentrecht bzw. den Umgang damit sieht er als weiteren Knackpunkt: So würden z. T. nachhaltigere Prozesse oder Produkte patentiert einzig mit dem Ziel die Konkurrenz von Vergleichbarem abzuhalten und selbst wie gewohnt weiterzumachen. Als kooperatives Gegenmodell nennt er das Teilen von Know How (Open Innovation, s. Kap. 5). Für das eigene Kerngeschäft mit Reinigungsmitteln gibt er an, dass nach eigener Erfahrung Mehrweg- und Nachfüllmodelle sich nicht als praktikabel erwiesen hätten, weshalb sie sich auf die Optimierung des Recyclingsprozesses konzentrieren würden.


Hier ein kurzer Vortrag von Schneider anlässlich der Buchveröffentlichung. Die anschließende Diskussion berührt mit Vertreter*Innen von Umwelt- und Industrieverbänden und Politik eine ganze Reihe von anderen interessanten Punkten: 
https://www.youtube.com/watch?v=ngNH7_i7UTw

Kreislaufwirtschaft: Von der Rhetorik zur Praxis (Prof. Vera Susanne Rotter): Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in seinem Umweltbericht 2020 auch konkretere Schritte gefordert. Das entsprechende Kapitel wird in diesem kurzen Video vorgestellt (Textquellen in der Beschreibung).

[zuerst im alten Forum gepostet, 19.3.24]


#wirtschaft #konsum

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In einem Ökosystem der funktionierenden Kreisläufe gerät schon mal in Vergessenheit, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war. Fataler ist, wenn in einem menschengemachten System funktionierende Kreisläufe an sich in Vergessenheit geraten. Ist es möglich, die moderne Wirtschaft als Kreislauf neu zu erfinden?

Ich habe keine Prognose zu bieten und wollte eigentlich auch nur für einen Link bezüglich Recycling im Bauwesen etwas Kontext haben. Aus diesem Kaninchenbau komme ich nur mit ein paar Orientierungspunkten, dafür aber gar nicht mal so kompakt…

Als übergeordneten aktuellen Zusammenhang kann man die Konsum-und Wegwerfgesellschaft sehen, und entsprechend bezieht sich die Kreislaufwirtschaft auch nicht nur auf Wirtschaftsunternehmen oder Material, sondern auch auf das Verhalten von uns allen.

Eine Definition

Hinter der Verwendung des Begriffs ‘Kreislaufwirtschaft’ versammeln sich verwirrend unterschiedliche Definitionen, Konzepte und Ziele. Es gibt sie auch nicht nur als umfassendere Version und Zukunftsvision, sondern ebenso als kleinen Teil des status quo, auf Abfallwirtschaft konzentriert. Seit 1996 ist ein Bundesgesetz so benannt und Recycling ist hierzulande ja auch schon ein alter Hut… Im Geiste dieses Forums darf es gerne mehr und systemisch sein!

International spricht man dann von Circular Economy (CE) und um Verwechslungen zu vermeiden, wird häufiger auf eine Übersetzung verzichtet (s. LINK S. 11 ). Oder man verwendet den deutschen Begriff und macht deutlich, dass man eine CE meint. Aktuell wird unter Federführung des Umweltministeriums eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) für die “Transformation hin zu einer zirkulären Wirtschaft” entwickelt (https://dialog-nkws.de/bmuv/de/home/informieren). Sollte am Ende dieses Beteiligungsprozesses ein umfassendes Konzept stehen, ist Papier natürlich geduldig, aber als Öffentlichkeit könnte man solche Momente nutzen, die Politik beim Wort zu nehmen.

Es gibt schlankere Definitionen als die folgende, aber im Rahmen einer Analyse von 221 Definitionen hat man Prinzipien, Ziele und Beteiligte erfasst, um dann zu schauen, wer was betont.

"Die Kreislaufwirtschaft ist ein regeneratives wirtschaftliches System, das einen Paradigmenwechsel voraussetzt, der den endgültig ausscheidenden Verbrauch von Materialien/Produkten [im Original: ‘end of life’ concept] ersetzt durch das Reduzieren, alternativ das Wiederverwenden, Recycling und energetische Verwerten [recovering] von Materialien über die ganze Lieferkette hinweg,

mit dem Ziel Werterhalt und eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben, ökologische Qualität, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gleichheit zu schaffen

– zum Vorteil gegenwärtiger und zukünftiger Generationen.

Dies wird ermöglicht durch eine Allianz von Stakeholdern (Industrie, KonsumentInnen, polit. EntscheidungsträgerInnen, Wissenschaft) und ihre technologischen Innovationen und Fähigkeiten."

(Kirchherr et al: Conceptualizing the Circular Economy (Revisited): An Analysis of 221 Definitions. (2023, LINK Übersetzung und Absätze von mir)

Diese Darstellung als Gleichung mit sehr vielen Variablen scheint mir passend, nur sollten die erwähnten Stakeholder deshalb erst Recht Farbe bekennen, wie sie sich die Ausgestaltung konkret vorstellen.

Natürliche Systeme als Inspiration

  1. In natürlichen Systemen nähren Ausscheidungen und auch die Überreste eines Elements andere Elemente (‘waste = food’)
  2. Diversität macht diese Systeme widerstandsfähiger.
  3. Natürliche Systeme basieren auf erneuerbarer Energie (Sonne).
  4. Sie funktionieren im Zusammenwirken verschiedener Elemente, eben als System. (nach https://www.youtube.com/watch?v=BknvimtSQjk)

Menschengemachte Systeme hatten anfangs auch einen solchen Kreislaufcharakter, inzwischen dominiert lineares Wirtschaften des ‘take make waste’ mit den bekannten Folgen hinsichtlich Ressourcen, Energieverbrauch und Nebenwirkungen. Es wird zwar in Systemen gedacht, aber eben in Teilsystemen und so als wäre ihr Input unendlich und ihr Output folgenlos. Dieser Output wiederum wäre undenkbar ohne die ‘Emanzipation’ von erneuerbarer Energie mit der Industrialisierung.

Mit der Kreislaufwirtschaft kann man nun die Vorstellung verbinden, dass das menschliche Wirtschaften funktionieren könnte ohne das Gesamtsystem ‘(Gut bewohnbarer) Planet’ entgleisen zu lassen. Die Hälfte einer Kreislaufwirtschaft, die sich auf die Biosphäre bezieht, soll diese durch verträgliche Landwirtschaft (Perma- statt Monokultur, Verzicht auf schädliche Dünger etc.) oder die Verwendung von abbaubaren Bio-Materialien schonen bzw. sogar fördern. Etwas näher will ich hier aber auf die andere Hälfte des ‘Schmetterlings’ (LINK) eingehen, die eine neu organisierte Technosphäre darstellen soll.

Die Rs

Um dem menschlichen Alleinstellungsmerkmal ‘Müllproduktion’ Herr zu werden, kann man sich an einer Hierarchie der Umgangsweisen mit Materialien orientieren. Die kreislauffreundlichen Aktionen mit der Vorsilbe re- werden gern zu 3, 4 oder mehr “Rs” gebündelt. Hier sind 10, weil ich die Abgrenzungen zumindest interessant finde, teilweise mit Unterscheidung Nutzungsseite // Produktionsseite.

  1. Refuse (Ablehnen): Gar nicht erst kaufen o. nutzen // Etwas nicht herstellen o. bestimmte Materialien nicht verwenden. Etwas überflüssig machen.
  2. Rethink (Umdenken): v.a. was Kopplung von Nutzen u. Besitzen angeht. Teilen senkt Produktion und erhöht Ausnutzen des Produzierten. Beim Design auf Reparierbarkeit achten etc.
  3. Reduce (Reduzieren): Durch mehr Effizienz weniger Materialverbrauch
  1. Reuse (Wiederverwenden lassen): Produkt nicht teilen, aber weitergeben-/verkaufen. // Dasselbe mit Maschinen z. B.
  2. Repair (Reparieren): Etwas Defektes wird wieder funktionstüchtig gemacht statt weggeworfen.
  3. Refurbish (Restaurieren u. updaten): Etwas wird nicht nur repariert, sondern aufgewertet
  4. Remanufacture (Zusammensetzen): Intakte Produktkomponenten werden woanders eingebaut
  5. Repurpose (Umwidmen): Produkte/Komponenten werden woanders eingesetzt und in anderer Funktion, z. B. als Möbel.
  1. Recycle: Rohstoffe zurückgewinnen und das schon bei der Produktion vorbereiten. Wenn Material danach z. B. nur noch als Füllstoff fungiert, spricht man auch von Downcycling.
  2. Recover (Energetisch verwerten): Nicht im engeren Sinn zirkulär, aber durch Verbrennung wird zumindest noch Nutzenergie erzeugt im Unterschied z. B. zur Vermüllung der Meere…

(ausgehend von https://prosperkolleg.ruhr/wp-content/uploads/2022/05/rethink_22-03_r-strategien.pdf; 5 Rs mit low- und high tech Lösungen s. auch hier unter table 2 

Hier noch eine Anwendung auf den Bereich Automobilität LINK

Manche der Rs könnten hier im Forum als Schlagworte nützlich sein, um Beispiele aus ganz unterschiedlichen Bereichen zu verknüpfen. In einem zweiten Teil werde ich nur noch ein paar zusätzliche Aspekte anreißen.

[Zuerst im alten Forum gepostet, 8.3.24, Kommentarbereich s. hier]


#wirtschaft #konsum

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Nach reichlich Inhalten auf Englisch hier die Übersetzung eines kompakten 'Manifesto' und ein toller neuer, deutschsprachiger Blog von @lex (Mastodon-Fundgrube!): Auf solar-punk.org gibt es jeden Dienstag einen neuen Beitrag zu fiktionalen Geschichten und realen Praktiken.

Aus dem Manifest:

Solarpunk kann utopisch, einfach nur optimistisch, oder mit den Kämpfen auf dem Weg zu einer besseren Welt beschäftigt sein. Solarpunk ist aber niemals dystopisch. Da unsere Welt vor Unglück brodelt, brauchen wir Lösungen, nicht nur Warnungen.

Wir brauchen Lösungen, um ohne fossile Brennstoffe zu gedeihen, mit echter Knappheit gerecht umzugehen und an der schon jetzt vorhandenen Fülle teilzuhaben. Statt eine falsche Knappheit oder einen falschen Überfluss zu unterstützen, möchten wir freundlicher zueinander und zu dem Planeten zu sein, den wir uns teilen.

Solarpunk ist gleichzeitig eine Vision der Zukunft, eine durchdachte Provokation, eine Lebensweise und eine Reihe von erreichbaren Vorschlägen, um dorthin zu gelangen.

.

Aus dem Blog, Post 'Die Wiederaneignung der Zukunft':

Cyberpunk-Erzählungen ist die menschenfeindliche, immer stärker überwachte und von Konzernen regierte Welt gemeinsam, in der die Hauptfiguren gegen die Zustände rebellieren, deshalb auch die Nachsilbe »Punk«. Die Rebell*innen können in den meisten Geschichten zwar kleine Teilerfolge erzielen, aber am eigentlichen System nichts ändern. Solche Zukunftsvisionen können dem Status Quo der realen Welt mittlerweile nur noch wenig hinzufügen – die Zukunft bleibt wie die Gegenwart, nur mit mehr Lasern und schnelleren Computern.

Etwa seit den 2010er Jahren gibt es eine Gegenbewegung zu dieser zelebrierten Hoffnungslosigkeit, die auf den Namen Solarpunk hört. Die Schnittmenge mit den Werten der Klimagerechtigkeitsbewegung ist immens, wobei sich Solarpunk weniger auf Appelle an Regierungen fokussiert, sondern darauf, eine bessere Zukunft durch sogenannte Reallabore, Kunst und Literatur wieder vorstellbar zu machen und aufzubauen.

Es ist sehr erfreulich, dass diese Kombination durch den Blog fundiert und ohne Sprachbarriere weiter verbreitet wird.


#zukünste

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submitted 1 month ago* (last edited 1 month ago) by borisentiu@feddit.org to c/gutesmorgen@feddit.org

Nach den zwei Konserven hier noch ein neuer Beitrag mit freiem Lesestoff auf Englisch. Das Center for Science and the Imagination an der Arizona State University widmet sich sehr aktiv der Schnittstelle von Wissenschaften und Zukünsten. In diesem Fall trafen 2018 Forscher*innen aus Technik-, Natur-, aber auch Sozialwissenschaften bei einem Solar Futures Narrative Hackathon auf Kreative, um die Grundlagen für diese Anthologie zu schaffen. Die Frage: Wie könnte eine auf Solarenergie umgestellte Welt funktionieren?

Entstanden sind vier Erzählungen über urbane und ländliche Räume in den USA, jeweils ergänzt durch Beiträge, die die fiktiven Szenarien noch etwas näher ausführen und vor allem Kontext geben. Der Fokus auf die Energieversorgung geht mit der klaren Marschroute einher, Infrastruktur nicht einfach als technische Sache ansehen zu wollen (weshalb man auch von sozio-technischen Systemen spricht). Fragen der Mitbestimmung, Gerechtigkeit, Akzeptanz u. a. gehören notwendig zu einem Gesamtbild dazu.

In dieser Hinsicht verbreiten die Geschichten nicht eitel Sonnenschein, sondern werfen ein Licht auf mögliche positive und problematische Entwicklungen. Bei allem Neid auf die erreichte Überwindung des fossilen Regimes könnte man beim Lesen also auch ein gesteigertes Bedürfnis empfinden, die neue Ordnung umsichtig zu gestalten, solange sie noch im Entstehen ist. Und trotzdem - oder gerade deswegen - gehen von dem Band die elektrisierenden Impulse des Solarpunk aus!


The Weight of Light. A Collection of Solar Futures, edited by Clark A. Miller and Joey Eschrich, Arizona State University 2018. https://csi.asu.edu/books/weight/ (Open Access; Epub, PDF und andere Formate)

Unter https://csi.asu.edu/books/ sind weitere Publikationen im Open Access verfügbar, darunter der global ausgerichtete Climate Action Almanac von 2023.

#zukünste #infrastruktur #energie

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Videos zu Solarpunk (www.youtube.com)

Hier ein paar Videos ergänzend zum Beitrag Zukünste und Solarpunk. Sie widmen sich den Bezügen zwischen Ästhetik, Stadtplanung etc.

Andrewism: What is Solarpunk? https://youtu.be/hHI61GHNGJM?feature=shared

Andrewism: How To Build a Solarpunk City https://youtu.be/4UmU1dSe3n0?feature=shared

DamiLee: SolarPunk Cities: Our Last Hope? https://youtu.be/UVlBmdvIC6s?feature=shared

Pop Culture Detective: In Defense of Disney’s Strange Solarpunk World https://youtu.be/rqQJHja9qxU?feature=shared


[zuerst im alten Forum, 22.5.24]

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Zukünste und Solarpunk (www.solarpunkstories.com)

Wenn es um konkrete Zukunftsvorstellungen geht, dann dürfen die Künste nicht fehlen - auch wenn es dort in der optimistischeren Abteilung scheinbar ruhiger zugeht. Damit im Forum Beiträge zu Literatur, Film etc. gefunden werden können, schlage ich ein bündelndes Schlagwort wie #Zukünste vor.

Künste verhandeln Zukunft sinnlicher als nackte Zahlen, (potentiell) vielschichtiger als politische Kampagnen und sie geben dem Individuum Gestaltungsmöglichkeiten, wo sonst leicht Ohnmacht und Ausgesetztsein empfunden werden können. Was dabei entsteht kann man als - wie auch immer geartete - Modelle von Welt sehen, an denen Änderungen und ihre Konsequenzen durchgespielt werden können.

Zum Beispiel können Entwicklungen durchdacht werden, die absehbar, aber noch nicht Realität sind. Während die Roboter noch in den Kinderschuhen steckten, wurden sie schon Teil von fiktiven Sozialgefügen, um sich über die Implikationen der Technik klarer zu werden. Man kann als Gesellschaft also prinzipiell Zeit gewinnen, wenn man sich diesen Angeboten öffnet - oder man wartet ab und steht dann vor Phänomenen wie der Künstlichen Intelligenz wie der erste Mensch…

Utopien haben als positive Entwürfe keinen leichten Stand. Im Politischen taucht das Wort auf, wenn eine Gegenposition entweder als naiv-unrealistisch oder gefährlich umfassend gebrandmarkt werden soll. Beide Vorwürfe könnten auch eine Rolle dabei spielen, wenn utopische (oder eutopische) Werke gar nicht erst geschrieben werden. Umgekehrt hat die Dystopie in der Populärkultur Hochkonjunktur, während in der Realität die Warnungen der Klimaforschung und -bewegung Einigen ‘zu negativ’ rüberkommen.

Auch deshalb wäre es wichtig positive Szenarien und Handlungsoptionen anschaulich zu machen, so neben dem zu Vermeidenden auch das Lohnende zu zeigen. Es mag trotzdem naiv oder allzu idealistisch wirken, in der Klimakrise auf die motivierende Wirkung der Künste zu setzen - nur kann man auch nicht behaupten, dass es schon in annährend vergleichbarem Maß versucht worden ist wie auf anderen Wegen (Erklärung, Argumentation, Protest etc.)

An dieser Stelle möchte ich nicht mit einem einzelnen Werk den Anfang machen, sondern mit dem schillernden Oberbegriff Solarpunk. Außer für ein ganzes Spektrum von Werken wird die Bezeichnung auch für bestimmte nachhaltige Einstellungen, Lebensweisen, Life hacks etc. verwendet. (s. Foren wie https://feddit.org/c/solarpunk@slrpnk.net [Edit 18.8.24: und verschiedene andere communitys auf der Instanz https://slrpnk.net/ ] und https://www.reddit.com/r/solarpunk/)

In Alex Hollands Blogartikel What is Solarpunk? One thing or many? geht es aber vorrangig um die Künste bzw. Bildästhetiken, wie sie etwa über die Werbung verbreitet werden. Holland identifiziert Spielarten und vergleicht sie hinsichtlich Realismus, Ton etc. Damit die Bezeichnung nicht allzu beliebig wird, schlägt er auch vor, manches als in Teilen ähnlich, aber nicht im engeren Sinn zugehörig zu verstehen. Im Kern zeigt Solarpunk für ihn nachhaltige, sozial gerechtere Welten, die möglich und erstrebenswert sind, und das Publikum zum Handeln inspirieren sollen.

Ich werde später noch 2-3 andere Links posten, aber ich finde in dem Artikel steckt schon viel Anregendes und ich will diesen Post daher nicht überladen.

Könnt ihr dem Konzept Solarpunk und der Systematisierung etwas abgewinnen? Fallen euch andere Beispiele ein? Welche Rolle spielen für euch Künste im Bezug auf die Zukunft?


[Beitrag zuerst im alten Forum, 1.4.24]

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submitted 1 month ago* (last edited 1 month ago) by borisentiu@feddit.org to c/gutesmorgen@feddit.org

[Beitrag zuerst im alten Forum, 31.12.23]

Positive Zukunftsentwürfe und Anregungen, wie man sie selbst entwickeln könnte, sind noch zu selten - aber es gibt sie!

In diesem Bereich ist die gemeinnützige Initiative Reinventing Society aktiv. Sie stellt auf https://realutopien.info Ressourcen wie eine wachsende Bildersammlung und Methoden für z.B. Gruppen zur Verfügung.

Die verlinkte Serie mit kurzen Videos bietet einen inspirierenden Überblick darüber an, welche Dynamik konstruktive Zukunftsvorstellungen entfesseln könnten, wenn sie möglichst ganzheitlich gedacht sind.

Wie sie selbst das konkret umgesetzt haben, kann man im Buch Zukunftsbilder 2045 anschauen. Es kombiniert eine informative Reportagereise im Jahre 2045 mit anschaulichen Vergleichen: Stadtansichten von heute und visualisierte Vorschläge aus der selben Perspektive.

Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub, Sebastian Vollmar: Zukunftsbilder 2045. Eine Reise in die Welt von Morgen, München 2023. Blick ins Buch auf https://realutopien.info/zukunftsbilder-2045/

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submitted 1 month ago* (last edited 1 month ago) by borisentiu@feddit.org to c/gutesmorgen@feddit.org

Schon Halbzeit des Monats...Gibt es Statements, Tipps, Termine?

Der Zugriff auf das alte Gutes Morgen-Forum auf feddit.de ist auch über burningturtle oder alexandrite nicht mehr möglich. Ich werde die gesicherten Beiträge nach und nach hier einpflegen, damit alles unter einem Dach ist.

Edit: Ich sehe grade, dass man von hier aus schon noch an die alten Beiträge kommt: https://feddit.org/c/gutesmorgen@feddit.de. Weil ich die alte Community von hier aus abonniert hatte, als noch mehr ging? Föderation? Naja mal schauen, es sind ja nicht so viele, vielleicht trotzdem besser an einem Ort.

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Gutes Morgen - Austausch über positive Zukünfte

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Gutes Morgen!

Wie können wir uns eine lebenswerte Zukunft konkret vorstellen? Und wo sind die Ideen und Beispiele fürs Handeln, damit es nicht beim Vorstellen bleibt?

Hier ist Raum für alle möglichen Themen, Perspektiven und Formen. Es gibt kein Header-Bild über allem, weil Zukunftsbilder schon Teil der Diskussion sind.

Schlechte Nachrichten könnten Auslöser für einen Beitrag sein, aber als reine Infos passen sie besser in andere Foren - versuchen wir es hier einmal konstruktiv von unten!

EnglishGood Tomorrow!

How to imagine a liveable future? And where are the ideas and examples for acting on it?

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