Von diesem Treffen sollte niemand erfahren: Hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer kamen im November in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland.
n den hell erleuchteten Speisesaal eines Landhotels nahe Potsdam treten nach und nach gut zwei Dutzend Menschen. Manche sind Mitglied bei der AfD, ein führender Kopf der Identitären Bewegung ist dabei. Manche sind Burschenschaftler, dazu Bürgertum und Mittelstand, Juristen, Politikerinnen, Unternehmer, Ärzte. Auch zwei CDU-Mitglieder sind dabei, Mitglieder der Werteunion.
Über die Mit-Betreiberin des Hotels wurde gerade erst ein ausführliches Porträt in der Zeit veröffentlicht, das ihre Nähe zu rechten Kreisen beschreibt.
Zwei Männer haben zu dem Termin eingeladen. Der eine ist Ende 60, er bewegt sich fast sein ganzes Leben in der rechtsextremen Szene: Gernot Mörig, ein ehemaliger Zahnarzt aus Düsseldorf. Der andere heißt Hans-Christian Limmer, ein namhafter Investor im Gastro-Bereich. Limmer hat die Backdiscounter-Kette Backwerk groß gemacht, heute ist er Gesellschafter der Burgerkette „Hans im Glück“ und beim Essenslieferant „Pottsalat“. Anders als Mörig ist Limmer nicht anwesend, er bleibt der reiche Mann im Hintergrund. Als CORRECTIV ihn vor dem Erscheinen dieses Textes dazu befragte, antwortete er: Er distanziere sich von den Inhalten des Treffens und habe bei der Planung „auch keine Rolle gespielt“.
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Sie ist weit mehr als nur ein Treffen rechter Ideologen, von denen manche sehr viel Geld haben. Unter den Teilnehmern sind Menschen mit Einfluss innerhalb der AfD. Einer von ihnen wird in dieser Geschichte noch eine Schlüsselrolle spielen. Er brüstet sich damit, an diesem Tag für den Bundesparteivorstand der AfD zu sprechen. Er ist der persönliche Referent von Alice Weidel.
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Für die AfD ist das mit Bezug auf die Debatte um ein mögliches Verbotsverfahren juristisch heikel. Zugleich ist es ein Vorgeschmack auf das, was passieren könnte, sollte die AfD in Deutschland an die Macht kommen.
Was dort an diesem Wochenende entworfen wird, ist nicht weniger als ein Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik.
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Sellner ergreift das Wort. Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Letztere seien aus seiner Sicht das größte „Problem“. Anders gesagt: Sellner spaltet das Volk auf in diejenigen, die unbehelligt in Deutschland leben sollen und diejenigen, für die dieses Grundrecht nicht gelten soll.
Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind.
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Silke Schröder zum Beispiel, Immobilienunternehmerin und Mitglied im Vorstand des CDU-nahen Vereins Deutsche Sprache, fragt sich, wie das praktisch gehen soll. Denn sobald ein Mensch einen „entsprechenden“ Pass habe, sei dies ja „ein Ding der Unmöglichkeit“.
Für Sellner ist das kein Hindernis. Er antwortet: Man müsse einen „hohen Anpassungsdruck“ auf die Menschen ausüben, zum Beispiel über „maßgeschneiderte Gesetze“. Remigration sei nicht auf die Schnelle zu machen, es handele sich um „ein Jahrzehnteprojekt“.
Auch die anwesenden AfD-Mitglieder haben keine Einwände, im Gegenteil. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy betont, dass sie das skizzierte Ziel schon länger verfolge.
Als sie vor sieben Jahren der Partei beigetreten sei, habe sie schon „ein Remigrationskonzept mitgebracht“. Aus diesem Grund argumentiere die AfD auch nicht mehr gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. „Denn dann kann man die deutsche wieder wegnehmen, sie haben immer noch eine. So wie Huy es ausdrückt, sollen Zuwanderer mit einem deutschen Pass in eine Falle gelockt werden.
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Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat. Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.
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Es wird deutlich, wie die Strategien rechtsextremer Akteure und Gruppen ineinandergreifen: Sellner liefert die Ideen, die AfDler greifen sie auf und tragen sie in die Partei. Im Hintergrund kümmern sich andere um die Vernetzung, Vermögende, Mittelständler, bürgerliche Kreise, und immer drehen sich Debatten um eine Frage: Wie lässt sich eine einheitliche völkische Gemeinschaft erreichen?
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Es geht nun um die praktischen Details, die nächsten Schritte: Mörig, der sich später auf Fragen der Redaktion hin als „alleiniger Veranstalter“ bezeichnet, spricht von einem Expertengremium, das diesen Plan – die Vertreibung der Menschen mit Migrationshintergrund, auch deutscher Staatsbürger – ausarbeiten soll. Und zwar unter „ethischen, juristischen und logistischen Gesichtspunkten“ – ein rassistischer Plan in legalem Gewand. Ein Mitglied habe Mörig schon im Sinn: Hans-Georg Maaßen, den früheren Chef des Verfassungsschutzes.
Maaßen ist häufiger Thema an diesem Tag. Der Ex-Verfassungsschützer plant nach mehreren Berichten im Januar, die Gründung einer eigenen Partei bekannt zu geben; die Menschen in dem Saal wissen das bereits; sie bringen die neue Gruppierung auf der Tagung mehrfach zur Sprache.
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Dass Teile der AfD mit Neo-Nazis und Neuen Rechten eng vernetzt sind, ist nichts Neues. Bisher aber schob die Partei das Problem auf einzelne Orts- oder Landesverbände.
Bei dem geheimen Treffen in dem Hotel ist auch ein Vertreter der höchsten Ebene der Partei präsent: Roland Hartwig, ehemaliger AfD-Abgeordneter und persönlicher Referent der AfD-Chefin Alice Weidel – sowie nach Angaben mehrerer AfD-Insider im Bundestag eine Art „inoffizieller Generalsekretär der Partei“. Einer, der im Hintergrund Einfluss auf die höchsten Entscheidungsebenen der Partei habe.
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Hartwig sagt dazu einen entscheidenden Satz: „Der neue Bundesvorstand, der jetzt anderthalb Jahre im Amt ist, ist offen für diese Fragestellung. Wir sind also bereit, Geld in die Hand zu nehmen und Themen zu betreiben, die nicht unmittelbar nur der Partei zugutekommen.“
Man bekommt den Eindruck, als trete Hartwig, die rechte Hand von Alice Weidel, hier als Vermittler zum Bundesvorstand der AfD auf – um die inhaltlichen Pläne dieses Treffens in die Partei zu tragen. Hartwig hat auf unsere später zu dem Treffen gestellten Fragen nicht reagiert.
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Es bleiben zurück:
Ein rechtsextremer Zahnarzt, der sein konspiratives Netzwerk offenlegte; ein Treffen von radikalen Rechtsextremen mit Vertretern der Bundes-AfD; ein „Masterplan“ zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern aufgrund ihrer „Ethnie“; also ein Plan, die Artikel 3, Artikel 6 und Artikel 21 des Grundgesetzes zu unterlaufen. Die Offenlegung mehrerer potenzieller Spender für Rechtsextremismus aus dem gehobenen Bürgertum; ein Verfassungsrechtler, der juristische Methoden beschreibt, um demokratische Wahlen systematisch anzuzweifeln; ein Landtagsfraktionsvorsitzender der AfD, der Wahlspenden an der Partei vorbei organisieren will; und ein Hotelbesitzer, der etwas Geld einnehmen konnte, um seine Kosten zu decken.
Hochrangige AfD Mitglieder machen mal wieder Reichsbürgersachen. Das sollte niemanden ernsthaft verwundern.
Es wird interessant sein zu sehen, ob eine zunehmende Radikalisierung der Partei nützt oder schadet.