this post was submitted on 26 Nov 2023
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Ich frage mich oft, ob es nicht mal einen Versuch wert wäre, nach einer Wahl ganz auf die Koalitionsbildung zu verzichten. Ministerposten nach Stimmen unter allen Parteien verteilen / versteigern und dann mit wechselnden Mehrheiten zu arbeiten. Wäre sicher ein Stück weit chaotischer und würde sicher auch viel hin und her bedeuten, wenn heute ein Gesetz von SPD/Grüne/Linke und morgen eins von CDU/FDP/AFD durchgeboxt wird. Andererseits würde es den Parteien erlauben, mehr von ihrem Profil zu bewahren und sich wirklich für ihre Wahlversprechen einzusetzen. Diese Koalitionen, wie wir sie aktuell haben, führen gefühlt leider sehr oft zu Stillstand, da disruptive Veränderungen nie Mehrheiten finden.
Auch ohne feste Koalitionen könnten die Parteien ja weiterhin gesetzesübergreifende Deals aushandeln à la "wenn ihr uns bei Gesetz A unterstützt, tragen wir eure Änderung B mit".
Ich bin mir bewusst, dass das sicher viele neue Probleme mit sich bringen würde aber aktuell habe ich das Gefühl, dass die Demokratie sehr oft zu "weiter so" führt, als kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den man sich einigen kann.
Das EU-Parlament funktioniert so. Dort kommt noch dazu, dass es keine Parteienbindung gibt, d.h. jede Person im Parlament entscheidet für sich selber, wie sie abstimmt. Dadurch kommen auch sehr wilde Kombinationen zustande, wenn nur die Hälfte von Fraktionen dafür stimmt.
Fände ich aber eigentlich nur konsequent, das im Bundestag genauso zu machen. Zumindest solange wir auf dem Stimmzettel nicht nur Parteien, sondern auch explizit Personen ankreuzen. Was bringt es denn, wenn jemand einen außergewöhnlich linken CDU-Politiker unterstützen möchte, da man ähnliche Ansichten hat, wenn der dann sowieso gemäß Beschluss der Parteispitze abstimmen muss. Wenn alle Politiker ohnehin Fraktionszwang haben, könnte man ja auch nur einen Repräsentanten pro Partei in den Bundestag setzen. Auch die ganzen Debatten im Bundestag sind im Prinzip ja nur Schall und Rauch. Wenn jemand von den Grünen eine so gute Rede hält, dass sogar einzelne aus dem rechteren Spektrum überzeugt werden und den Argumenten folgen würden, hat das trotzdem 0 Auswirkung auf die Abstimmung. Dass durch eine Absprache gleich eine ganze Fraktion kippt und ihren Standpunkt ändert, halte ich für so gut wie ausgeschlossen. Und sowieso: Eine Idee, die "die anderen" hatten, kann ja schon aus Prinzip gar nicht gut sein.
Ursprünglich war der Bundestag auch darauf ausgelegt. Es steht ja bis heute im Gesetz, dass Mitglieder im Bundestag nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. Das wird mit Fraktionszwang ziemlich pervertiert.
In der Schweiz wird die Regierung anteilig nach den Parteien besetzt und das funktioniert anscheinend ganz gut. Allerdings ist ein kleines Land anders regierbar als ein großes.