Hypothetischer Fall: Nehmen wir mal an, Windows würde von heute auf morgen den Platz mit Linux tauschen.
Microsoft verpatzt etwas, und innerhalb weniger Monate erhöht sich der Desktop-Linux-Marketshare auf >50%, während Windows mit <5% nur ein paar Spezialfällen vorbehalten ist. Jeder, in der Arbeit, beim Zocken, unsere Eltern, unsere Kinder, egal wer, benutzt jetzt Linux im Alltag.
Klingt natürlich nach einer Traumvorstellung. Auch, wenn sich der Marketshare in letzter Zeit (u.a. dank schlechter Entscheidungen von MS sowie dem SteamDeck und co.) erhöht und immer mehr "Normaluser" Linux für sich entdecken, wird sowas in den nächsten paar Jahren wohl kaum eintreten.
"Wollen wir das überhaupt?"
Mein Umfeld interessiert sich, böse gesagt, einen Dreck für FOSS und generell dafür, wie Software funktioniert. Niemand sieht ein Problem in Sachen wie Google Chrome. Wenn diese Leute dann einen anderen Unterbau für ihren Browser verwenden, könnte ich mir gut vorstellen, dass der Kerngedanke hinter Linux und das, was es u.a. so toll macht, untergeht. Ähnlich wie bei ChromeOS.
Dann würden sich Firmen wie Microsoft eben andere Wege suchen, wie sie an Geld, Macht und Daten rankommen, z.B. durch Browser oder Kommunikationssoftware.
Wäre das schlecht? Wie würde sich das auf das bestehende Ökosystem und dessen Entwicklung auswirken?
Was muss sich dafür ändern?
Hier in paar Beispiele:
- Linux muss auf jedem Gerät (Laptops, usw.) vorinstalliert kommen. Kaum jemand entscheidet sich für ein OS, man nutzt das, was vorinstalliert ist um seinen Kram zu erledigen, und macht sich über den Rest keinen Kopf.
- Es muss wieder ein "Standard"-Linux, oder zumindest -desktop oder zumindest Designsprache geben. Das momentane Mischmasch aus GTK2, 3, Libadwaita, Qt, und und und lässt alles irgendwie fragmentiert und zusammenhangslos aussehen.
- Mehr Auge auf Optik und UI: viele DEs und Software sieht mies aus. Es funktioniert zwar, aber ein wirklicher Hingucker ist es oft auch nicht.
- Weniger kontroverse Meinungen. Das "nur meine Softwarewahl ist die richtige" ist für Außenstehende komisch und führt nur zu Verwirrung.
- Ein guter Willkommenswizard (Software-Installation, usw.)
- Und bestimmt ein paar Sachen mehr.
Was sagt ihr dazu?
Die Frage ist halt, wieso es 1:1 wie Windows sein sollte.
Das ist so, als würde man seinem Ex-Partner nachweinen. Nur, weil es wie gewohnt funktioniert, heißt das nicht, dass es automatisch am besten ist, da ich bei Windows schon finde, dass vieles unintuitiv oder klobig gelöst wurde.
(Mini-Beispiel, die Suchleiste: wieso überhaupt einblenden? Einfach auf dem leeren Desktop (oder per Alt+Space) KRunner aufrufen, und schon sieht man mehr Ergebnisse als in der Suchleiste.)
Jedes DE (Cinnamon, KDE, etc.) hat, wenn man kein "Windows" draus macht, deutlich mehr Potential (Ergonomie, Aussehen, Effizienz, usw.).
Und verwirrend wäre es auch. Wenn alles exakt gleich wie Windows aussieht, aber nicht so funktioniert, führt das früher oder später zu Problemen, zumindest bei Einsteigern.
Unpopular Opinion: ich denke, dass Vanilla Gnome tatsächlich für viele Einsteiger der beste Desktop wäre. Es funktioniert alles so anders, dass man niemals auf die Idee kommen würde, Tasks wie beim Alten System zu erledigen.
Warum es wie Windows aussehen sollte: Gewohnheit. Die Nutzer müssten sich nicht umgewöhnen, die Hürde wäre geringer. Es gibt noch genug Probleme beim Umstieg. Dann muss nicht auch noch alles anders aussehen.
Für mich war die Ergonomie/Effizienz bei Windows gut. Ich bin da vielleicht nicht sehr anspruchsvoll, aber ich finde z.B. die Taskleiste gehört bei einem Breitbildmonitor vertikal auf die Seite. Daran scheiterte es (damals) schon bei Gnome. Ich will keine Zwangs-Gruppierung der Fenster und die Fenstertitel lesen können. Das kann man bei Windows und KDE alles einstellen, wie man es haben will, bei Gnome war das eher festgelegt, nach dem Motto pass du dich an Gnome an, nicht umgekehrt.
Ich möchte keine KDE/Gnome Diskussion entfachen, aber für mich war Gnome damals ganz schnell aus dem Rennen, weil die Entwickler aus unerfindlichen Gründen der Meinung waren, dass auf dem Desktop nichts zu sein hat außer dem Hintergrundbild. Keine Ahnung, ob das in den aktuellen Versionen noch so ist, aber meine Frau fragt mich alle paar Monate, warum sie bei ihrem Notebook (Ubuntu 20.04) keine Dateien auf den Desktop ablegen kann.
Klar, ich könnte auch mit Gnome gut leben, aber ich versuche das immer aus der Perspektive zu sehen, wie meine 70 jährige Tante wohl reagieren würde, die seit vielen vielen Jahren Windows nutzt. Die hängt nicht ideologisch an Windows, aber sie will Ihren Arbeitsablauf nicht neu lernen. Und so geht es bestimmt vielen, die beruflich und privat seit Jahrzehnten Windows nutzen. Und wenn Linux das 1:1 nachbilden könnte - warum nicht. Wer dann tiefer einsteigen will, freut sich über zahlreiche Möglichkeiten zur individuellen Anpassung. Letztlich ist der Desktop ja nur Mittel zum Zweck - die meiste Zeit hat man die Fenster der Anwendungen offen und sieht vom Desktop nur die Taskleiste.